Als Mitarbeiterin in einer PR-Agentur haben meine Kollegen und ich immer wieder mit neuen interessanten Menschen und Themen zu tun. Manche packen uns so sehr, dass wir mehr über ihre Arbeit wissen wollen. So wie im Fall Frank Berzbachs.
Der promovierte Kulturpädagoge und Psychologe hat diverse Titel zum Thema Achtsamkeit publiziert und war Interviewpartner auf dem von uns betreuten „Oohh! Der AquaClean Blog von Geberit“ (LINK: https://www.blog.geberit-aquaclean.de/).
Seine Bücher enthalten viele Ideen, wie sich der bewusste Umgang mit sich und den Dingen in den Alltag integrieren lässt – auch und gerade im Job. Ich habe ihn dazu befragt, wie das gelingen kann.
Yvonne: Herr Dr. Berzbach, wer beim Thema „Achtsamkeit“ an Yogamatten und Ruheräume denkt, liegt sicher nicht ganz falsch, wird der Idee, die dahintersteckt, aber nicht ganz gerecht. Können Sie uns erläutern, um was es tatsächlich geht?
Dr. Berzbach: Der Begriff Achtsamkeit stammt aus dem Buddhismus. Er bezeichnet die Fähigkeit, seine Wahrnehmung im gegenwärtigen Moment zu halten und das, was man sieht, nicht gleich zu bewerten und zugleich seine eigenen Gefühle und Denkmuster im Blick halten zu können. Das ist eine sehr anspruchsvolle Sache, die viel Übung erfordert. Er steht in den religiösen Quellen neben der Fähigkeit, sich zu konzentrieren und neben dem Willen, sich anzustrengen. Übung macht den Meister.
Yvonne: Und wie lässt sich Achtsamkeit konkret auf den Berufsalltag übertragen? Haben Sie hier zwei, drei Tipps für uns?
Dr. Berzbach: Die klassischen Meditationsübungen, das Zazen zum Bespiel oder die buddhistische Geistesruhemediation, helfen uns, etwas ruhiger zu werden. Wer auf seinen Atem achten kann, der spürt seinen Körper. Und vielleicht auch, wenn starke Emotionen aufkommen, die die Sicht trüben. Wer ruhig ist, der hat Zugang zur Intuition. Wer das täglich übt, der bemerkt nach einer Zeit, dass er früher bemerkt, wenn er hektisch wird, die Körperhaltung wird aufrechter und besser und vielleicht kann man sich besser konzentrieren. Wer ruhiger ist, ist überlegen. Das alles ist aber nicht durch eine Einsicht oder schnelle Tricks zu haben. Ich schlage vor, sie probieren es sechs Wochen aus – jeden Morgen 25 Minuten Meditation vor dem Frühstück – und dann bewerten Sie, wie sich der Alltag verändert. Jeden Morgen. Keine Ausreden. Es ist ein harter Übungsweg. Eigentlich für einen Trend nicht geeignet, mich wundert daher, dass es Mode ist. Aber wahrscheinlich ist nur das Wort, nicht die tatsächliche Übung, gerade angesagt.
Yvonne: In Ihren Büchern sprechen Sie speziell Kreative an, also auch Agenturen. Welche positiven Effekte kann Achtsamkeit in unserem Job haben?
Dr. Berzbach: In Agenturen haben wir es vor allem mit einer Dienstleistung zu tun. Nur ist die Arbeitskultur oft etwas unstrukturierter, man hat mehr in Großraumbüros zu leiden. Das sind nicht gerade gute Bedingungen für Kreativität. Wenn Sie achtsam arbeiten wollen, dann sollten sie regelmäßig arbeiten, richtige Pause machen (also weg vom Monitor, Spaziergang, in Ruhe essen), früh aufstehen, weniger schlechten Kaffee trinken und weniger Industriezucker essen, die Aufgaben nacheinander erledigen und Multitasking meiden – das alles ist hilfreich, um ruhiger und konzentrierter zu sein. Beides ist die Voraussetzung für Kreativität. Wenn sie nach jeder Mahlzeit 20 Minuten spazieren gehen, ohne zu hetzen, dann hat das mehr Einfluss auf die Kreativität als die meisten albernen Kreativitätstechniken. Langsam im Alltag zu gehen, ist die härteste Übung, die sie absolvieren können. Versuchen Sie es.
Yvonne: Was sind typische
Achtsamkeitsfallen im Arbeitsalltag?
Dr. Berzbach: Uneingestandene Ängste, die Unfähigkeit, allein und ruhig zu
sein, Multitasking, laute Außengeräusche, Facebook, Instagram etc., Geldsorgen,
Stress von innen, nervige Kollegen und narzisstische Vorgesetzte, Störungen
durchs Telefon. Unser Denken an sich ist hektisch, unruhig, der Kopf
funktioniert leider so. Die Ruhe ist uns nicht in die Wiege gelegt, sondern nur
erlernbar. Die großen Religionen haben davon früh ein Bewusstsein entwickelt.
Der eigene Ehrgeiz kann ein großes Hemmnis sein. Oder falsche Erwartungen. Der Alltag
an sich ist die Falle – und zugleich das einzige, was wir haben.
Yvonne: Gerade jüngeren Kollegen, die frisch ins Berufsleben gestartet sind, fällt es oft schwer, sich und ihre Projekte zu organisieren. Auch wenn es Angebote von Agenturseite gibt, fühlen sie sich mitunter überfordert. Was empfehlen Sie ihnen?
Dr. Berzbach: Der Berufseinstieg ist eine Lernphase. Nach dem Studium können viele ganz basale Dinge nicht: regelmäßig arbeiten, ohne Spaßfaktor arbeiten, unter Zeitdruck arbeiten, pünktlich sein. Dazu kommen viele handwerkliche Defizite, man lernt viel erst on-the-job. Wer sich anstrengt, sollte belohnt werden – aber die Anforderungen müssen etwas geringer sein. Man findet erst in den Beruf. Alles, was wir zum ersten Mal machen, ist ungleich anstrengender. Anfänger dürfen Fehler machen. Sie sollten auf Ratschläge hören, sie sollten immer nach allem fragen dürfen. Arbeitsorganisation ist kein Geheimwissen. Wir leiden selten an der Arbeit, sondern meist an der verfehlten Organisation der Arbeit. Das ist aber erlernbar. Weiterbildung, gute Lektüre, der Rat von Kollegen können helfen. Im Job zählen sehr alte Tugenden: Disziplin, Fleiß, Ernsthaftigkeit. Das klingt nicht sehr sexy, aber ohne verstrickt man sich nur in Bummelei und Jammern. Es wird viel geklagt, aber das nützt nichts.
Yvonne: Manchmal stecken meine Kollegen und ich so in unseren spannenden Projekten, dass wir das Drumherum vergessen. Und manchmal auch unsere eigenen Bedürfnisse. Wie schaffe ich es in stressigen Zeiten, achtsam mit mir und meinen Ressourcen umzugehen?
Dr. Berzbach: Flow-Zustände verengen die Wahrnehmung und zehren uns meist aus. Jede Burnout-Spirale beginnt mit rauschhaftem Erfolg. Es ist gar kein Problem zeitweise in der Arbeit aufzugehen, nur sollte das zumindest an den großen Pausen, wie mittags, unterbrochen werden. Der Körper braucht Rhythmen, er braucht Flüssigkeit und Bewegung. Wir sitzen zu viel, essen unregelmäßig, zehren uns zwei Tage zu sehr aus und sind dann drei unproduktiv. Eigentlich sollte morgens, mittags, nachmittags, abends jeweils der Wecker klingeln und uns an die Pause erinnern. Das ist altmodisch, aber überaus wirksam. Es schützt vor Überlastung und auf eine längere Sicht arbeiten wir so sehr viel produktiver.
Yvonne: Herr Dr. Berzbach, vielen Dank für Ihre Anregungen und das Interview!
Nach so viel Input will ich es genauer wissen: Welche Achtsamkeits-Tipps gefallen meinen Kollegen am besten? Und mit welchen Strategien schaffen sie sich schon jetzt bewusst kleine Pausen und Auszeiten im Arbeitsalltag? Das alles demnächst hier auf unserem Blog.
Über Dr. Frank Berzbach
Dr. Frank Berzbach, Jahrgang 1971, unterrichtet Kulturpädagogik an der Technischen Hochschule Köln und arbeitet als freier Autor und Journalist. Er hat als Wissenschaftler, Wissenschaftsjournalist, Fahrradkurier, Buchhändler, Technischer Zeichner und in der Psychiatrie sein Geld verdient. Seit etwa zehn Jahren praktiziert er Zen und bleibt dennoch katholisch. Publikationsschwerpunkte: Kreativität, Arbeitspsychologie, Religion und Spiritualität, achtsamkeitsbasierte Psychologie, Literatur, Popmusik, Popkultur. Mehr über seine Person gibt es hier: www.frankberzbach.com. Copyright Foto: Jenny Bartsch