Für uns bei Ansel & Möllers ist es immer wieder spannend, Theoretiker zu fachlichen Themen zu befragen und so neue Perspektiven für unsere Arbeit zu gewinnen.
Zum Thema „Storytelling“ stehen uns heute Professor Dr. Claudia Mast – Leiterin des Fachgebietes Kommunikationswissenschaft und Journalistik an der Universität Hohenheim – und Dr. Helena Stehle – ebenfalls vom Fachgebiet – Frage und Antwort.
Storytelling ist das PR-Buzzword der letzten Jahre. Wie ist Ihre Meinung aus wissenschaftlicher Perspektive dazu? Ist diese Fokussierung alter Wein in neuen Schläuchen oder tatsächlich eine Neuentwicklung?
Prof. Dr. Claudia Mast:
Storytelling ist ein uraltes Format der Informationsweitergabe, das aber im digitalen Zeitalter an Bedeutung gewinnt. Es klingt paradox, aber ansteigende Fluten an Medienangeboten und die knappe Ressource Aufmerksamkeit auf der Seite der Nutzer haben das „Geschichten erzählen“ revitalisiert. Das Bestechende an dieser Form der Informationsaufbereitung ist, dass sie sich von anderen Formen gut abgrenzen lässt, also unterscheidbar ist, gut erinnerbar ist und auch mit begrenzter Aufmerksamkeit noch rezipiert werden kann. Das sind heute wichtige Bedingungen – zumal sich die Grenzen in der medialen Öffentlichkeit auflösen und Vieles beliebig wird. Erfahrungen und Wissen in Form von Geschichten weiterzugeben, hat sich bereits in der Vergangenheit bewährt. Unter den heutigen Bedingungen wird es aber noch wichtiger.
Storytelling kann ja in ganz unterschiedlichen Handlungsfeldern und inhaltlichen Zusammenhängen stattfinden. Welche Bedeutung kommt dem „Geschichten erzählen“ in der B2B- oder Fach-PR zu? Sind die Stakeholder offen dafür?
Dr. Helena Stehle:
Lange Zeit ging man in der Fach-PR davon aus, dass B2B-Stakeholder vor allem an harten Zahlen, Daten und Fakten interessiert seien. Als Gründe wurden z. B. kollektive Kaufentscheidungen durch sog. „Buying Center“ angeführt, die rationales Handeln befördern sollten. Mittlerweile deuten einige Ergebnisse daraufhin, dass z. B. Emotionen und nicht zuletzt gut erzählte Geschichten auch in B2B-Märkten und konkret in der Fach-PR eine Rolle spielen und den Ausschlag geben können – zumal dieses Format hier noch nicht so weit verbreitet ist. Ein gewisser Standard an soliden Basis-Informationen lässt sich damit jedoch nicht ersetzen. Sie gehören vielmehr zu einer Geschichte dazu. „Märchen“, Dichtung oder gar Täuschungen tragen in Geschäftsbeziehungen, wenn überhaupt, nur ein kurzes Stück.
Funktionieren Geschichten abseits vom wirtschaftlichen Kontext auch in öffentlichen Diskursen? Sie haben gemeinsam die Kommunikation rund um Energie- und Infrastrukturprojekte untersucht. Kann Storytelling dabei helfen, die Akzeptanz der Bürger zu gewinnen? Und wenn ja, was gilt es dabei zu beachten?
Prof. Dr. Claudia Mast:
Wenn es um Energieprojekte direkt vor der eigenen Haustüre geht, haben die Bürgerinnen und Bürger klare Erwartungen an die Verantwortlichen. Es geht auf der einen Seite darum, ihre inhaltlichen Interessen und Fragen überzeugend zu beantworten, z. B. im Hinblick auf die Energiewende und erneuerbare Energien. Darüber hinaus zeigt sich aber, dass das „Wie“ der Kommunikation, d. h. die Art der Aufbereitung für sie sehr wichtig ist. Die Bürgerinnen und Bürger wünschen sich Transparenz, Neutralität, Verständlichkeit und eine ansprechende Aufbereitung der Kommunikation. Ansprechend heißt aber keineswegs immer unterhaltend. Im Gegenteil: Unterhaltsame Kommunikation wird bei Energiethemen mehrheitlich abgelehnt. Geschichten können aber zentrale Argumente oder Zusammenhänge plastisch fassbar machen.
Dr. Helena Stehle:
Wenn man die zentralen Bestandteile von Geschichten betrachtet – es gibt einen oder mehrere Akteure, die etwas erleben, wobei die Ereignisse chronologisch erzählt und kausal in Verbindung gebracht werden –, so zeigen sich durchaus Ansatzpunkte. Wenn beispielsweise der Wunsch geäußert wird, die Gründe für ein Projekt, dessen Nutzen und seine Auswirkungen in positiver und negativer Hinsicht zu erläutern, Verantwortliche zu benennen oder Hintergrundinfos zu erhalten, können solche Informationen durchaus Teil einer übergreifenden Geschichte sein. Allerdings wünschen sich die Menschen derzeit eher nüchterne Geschichten, die vor allem Antworten auf ihre inhaltlichen Fragen geben und ein Projekt umfassend wie auch eindeutig erklären, also ohne „Schönwetter-Prosa“.
Was sind Ihre persönlich liebsten Beispiele in Sachen Storytelling?
Prof. Dr. Claudia Mast:
Schöne Beispiele für Storytelling finden sich oftmals bei Gründererzählungen, d. h. Geschichten über den Start und das Wachsen eines Unternehmens oder einer Organisation. Dabei geht es immer um Menschen – wobei sich häufig individuelle Charaktereigenschaften, spannende Erlebnisse oder auch gemeisterte Herausforderungen zu einem roten Faden verweben.
Dr. Helena Stehle:
Eine besondere Glaubwürdigkeit transportieren Geschichten, die nicht das Unternehmen erzählt, sondern seine Mitarbeiter oder Kunden. Sie berichten von ihren eigenen Erfahrungen, durchstandenen Aufgaben oder gemeinsamen Erfolgen und lassen die Leser, Zuschauer oder Zuhörer so teilhaben. Wenn sich die Geschäftsführung und PR hier trauen und auch Freiraum lassen, können tolle, authentische Geschichten entstehen.