Lange hat mich kein Beitrag mehr so „abgeholt“ wie das Essay von Prof. Bernhard Pörksen in der ZEIT am 15.02.2018 zum Thema „Alle müssen Journalisten sein“. Er plädiert darin für ein Schulfach, das zum Ziel hat, eine kollektive Medienmündigkeit zu schaffen.
Also quasi sich einen kritischen Umgang anzueignen und Medien mit Bildung, nicht mit Bevormundung zu begegnen.
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust…
Als Mutter pubertärer Söhne, die Informationen undifferenziert konsumieren, und gleichzeitig als Geschäftsführerin einer PR-Agentur, die täglich mit Content und Distribuierung besonders in den digitalen Medien zu tun hat, beschäftigt mich dies besonders. Mit zunehmender Fassungslosigkeit beobachte ich die permanente werbliche Bespielung, die schwindende Autorität klassischer Medien, die Stärkung der Meinung Einzelner im Netz, die Informationsschnipsel, die uns tagtäglich und zusammenhangslos erreichen, Fake-News, Hass-Reden und besonders das kritiklose Konsumieren der User – egal welchen Alters. Das liege daran, so Pörksen, dass wir uns momentan allesamt „in einer Phase der mentalen Pubertät im Umgang mit den Medien in der vernetzten Welt“ befinden.
Mit Journalismus zur Medienmündigkeit
Wir sind also alle Pubertierende, die erstmal lernen müssen, wie unsere öffentliche Welt strukturiert ist, um diese Lebensphase zu überwinden. Interessanter Gedanke! Pörksen schwebt als Endzustand die Utopie einer „redaktionellen Gesellschaft“ vor, d.h. „Normen und Prinzipien eines ideal gedachten Journalismus“, der „zur Allgemeinbildung“ geworden ist und an Schulen, Unis etc. gelehrt wird. Zu Grunde liege das Handwerkszeug des Journalisten, Geschriebenes zu prüfen, zu analysieren, zu recherchieren. Dabei solle man sich von eigenen Standpunkten und Vorurteilen lösen – denn genau das machen gute Journalisten. Das Credo „audiatur et altera pars“ („Man höre auch die andere Seite“) könne richtungsweisend sein in der Offenheit, sich auch andere Argumente anzuhören.
Vom Journalisten zum Lehrer
Die Suche also nach einer Art offiziellem „Glaubwürdigkeits- und Realitätsfilter“, sowohl für die eigene Wahrnehmung als auch für Formulierung von Meinungen im Netz? Das wäre doch ein erstrebenswertes Ziel. Den Journalisten käme dabei, so Pörksen, – quasi als Nebenjob – ein Bildungsauftrag zu, nämlich über die Gesetzmäßigkeiten der eigenen Branche aufzuklären, von dem die „vernetzten Vielen, die längst zur fünften Gewalt“ geworden sind, profitieren könnten. Gleichzeitig plädiert der Autor für eine Plattform, wie eine Art Presserat, welche die sozialen Netzwerke reguliere. Transparent solle sie sein, die Urteilsfähigkeit des Einzelnen schärfend und aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen bestehend. Den Nutzern solle diese Plattform „prominent zugänglich gemacht werden“ – zur Sensibilisierung und zum bewussteren, mündigeren Umgang mit den digitalen Medien.
Von der Macherin zur Konsumentin
Was für geniale Ideen! Ich bin ganz beseelt, dass ich nicht alleine bin mit meinen Gedanken, die journalistischen Grundlagen nicht nur in der Content-Erstellung, sondern auch im Medienkonsum einzusetzen und effektiv zu nutzen. Denn ich vertrete beide Seiten: die der Marketing- und PR-Frau und die der Medien- und vor allem Medienkonsumkritikerin. Eigentlich unvereinbar? Nein: „audiatur et altera part“.
Quelle:
Essay „Alle müssen Journalisten sein“ von Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaften der Universität Tübingen, erschienen in der ZEIT/15.2.2018